Zeitgeschichte erleben! – 100 Jahre bayerische Revolution.

von links: Michael Pelzer, Pankraz Schaberl, Theresia Benda-Pelzer, Martin Piper und Günter Baumgartner

„Zeitgeschichte erleben“ - das war nicht zu viel versprochen. Die Zuschauer im vollen Westerhamer Schützen- und Trachtenhaus erlebten ein buntes Wechselspiel aus einer Einführung, Theaterszenen, Vortragsteilen sowie Musik und Liedern.

Dabei war das Thema durchaus ernst: „Die bayrische Revolution 1918/19 in und um Feldkirchen-Westerham“. Es war Geschichtsunterricht vom Feinsten.

Gleich zu Beginn hatte der langjährige Weyarner Bürgermeister Michael Pelzer die Zuschauer mitgenommen in die Welt vor 100 Jahren, aus dem Blickwinkel der Frauen, Männer und Kinder und nicht aus dem der Regierenden:

Prolog

"Wir schreiben das Jahr 2019. Der Freistaat Bayern ist 100 Jahre alt geworden. Für uns eine gute Gelegenheit, die eigene Geschichte in Erinnerung zu rufen. Und die Erinnerung der Geschichtsvergessenheit entgegenzusetzen, weil wir alle auf den Schultern unserer Vorfahren stehen. Und dass die geschichteten Geschichten (nichts anderes ist Geschichte) auch uns und unser Leben geprägt haben.

Geschichte haben wir häufig in der Schule aus dem Blickwinkel der Herrschenden gelernt. Die Jahreszahlen der „Großereignisse“ waren wichtig. Und das, was für die Herrscher wichtig war. Wenn wir aber dieselbe Zeit aus dem Blickwinkel der Frauen, Männer und Kinder betrachten, die von all dem betroffen waren, dann schaut Geschichte anders aus. Ganz anders.

Was war denn wichtig, für die, die ihre bloße Existenz sichern mussten und die sich nur verdingen konnten? Was wurde aus den Kindern, denen die Schule versagt blieb? Ehen waren für die meisten nur Zweckbündnisse, um das Überleben zu sichern? Wer litt unter Kriegen und den damit verbundenen Hungersnöten? Und, und, und….Das Leben der Menschen hat in vielen Geschichtsstunden nicht stattgefunden. Wenn wir heute 100 Jahre zurückblicken, dann blicken wir auf unsere Heimat. Wie war’s denn hier bei uns zu der Zeit der Novemberrevolution, die die Monarchie hinweggefegt und die Republik hervorgebracht hat? Die Zeit, der wir den stolzen Namen „Freistaat Bayern“ verdanken?

… Geschichte verstehen wir nur, wenn wir uns vor Augen führen, wie die Welt, das Land, die Stadt, das Dorf damals war. Schauen wir also ein wenig in das Ende des vorvorigen Jahrhunderts, also so auf das Jahr 1890 zurück. Knapp 130 Jahre) Könige, der Kaiser, Fürsten und Adel regierten. In den Städten gaben das wohlhabende Bürgertum, der niedere Adel, höhere Beamte, Händler, und manchmal auch Handwerker den Ton an. Vor allem aber auch das Offizierschor und die obrigkeitliche Verwaltung. Mit der beginnenden Industrialisierung begann die Zeit, in der sich viele (oft vom Land kommend) in Bergwerken, Fabriken, Großbäckereien, Eisenschmieden und ähnlichem verdingten. Das war oft verbunden mit Ausbeutung, Kinderarbeit, Hitze, Kälte , Schweiß und Hungerlohn. Es entstand eine neue Klasse: Die Proletarier. Und auf der anderen Seite: Die Industriebosse. Auf dem Dorf, da gab es die Großbauern und die Kleinhäusler, die Knechte und Mägde und die kleinen Handwerksbetriebe. Sowohl in den Städten wie auf dem Land gab es eine klare Hierarchie. Oben und unten.

Das ist das eine, was man wissen muss: Das andere ist der erste Weltkrieg. Wie die Soldaten und die Daheimgebliebenen seinen Beginn, den Verlauf und sein Ende erlebt haben. Vieles ist nur verstehbar, wenn man um die Stimmung weiß, mit der damals viele Soldaten in den Krieg gezogen sind. Die Großmannssucht der Vertreter des Deutschen Reiches hatte ihnen versprochen, dass die Soldaten in wenigen Wochen siegreich zurückkehren werden. Da gab’s nicht nur Zuversicht. Da gab’s auch Begeisterung. Und dann dauerte dieser Krieg vier Jahre. Und kaum eine Familie gab’s, der nicht der Vater, der Sohn, der Bruder durch diesen Krieg genommen wurde. Und immer mehr fühlten sich betrogen durch die ständigen Verlautbarungen von Siegen durch König und Medien. Und viele sahen auch, dass es die anderen gab – die Kriegsgewinnler. Dass das Leid halt nicht alle gleich traf. Dass es halt auch da das „Oben“ und das „Unten“ gab. Und nach dem Ende des Krieges waren es wieder die „einen“ die die Folgen des Kriegs zu tragen hatten.

Warum ich das ein wenig ausführlicher erzähle?

Weil ich dankbar bin, dass ich nun über 70 Jahre in einer Republik, in Freiheit, in Frieden und ohne Hunger und Not leben darf. Weil das meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern nicht durften. Vielleicht spüren Sie mit mir, dass uns unsere Geschichte lehrt, zu erkennen, dass Frieden und Freiheit nicht vom Himmel fallen. Dass jeder von uns sie täglich neu erarbeiten muss. Dass es Mut braucht, den Anfängen zu wehren, die das gefährden. Das betrifft nicht nur die „große“ Politik. Das betrifft auch uns in unseren Dörfern und Gemeinden, in unserer Nachbarschaft und in unserem Umgang miteinander. Weihnachten steht vor der Tür.

Da darf man wünschen: Ich wünsche mir, uns und Ihnen heute, dass Sie mit unserem Namen „Freistaat Bayern“ auch den Mann in Verbindung bringen, dem wir ihn verdanken. Kurt Eisner war kein ,Träumer, auch kein Kommunist. Er war ein radikaler Demokrat. Ein zutiefst friedliebender Mensch, jeder Gewalt abhold und er ist genau dieser Gewalt zum Opfer gefallen.

Uns wünsche ich, dass wir spüren, welche Werte wirklich wertvoll sind. Dazu empfehle ich Ihnen: Schauen Sie einmal in die Bayerische Verfassung. Die ist jetzt auch 70 Jahre alt und hoch aktuell – von Frauen und Männern, die all das und noch mehr erlebt haben und die uns diese Verfassung nicht als Vermächtnis, sondern als Auftrag geschenkt haben.

Und schließlich wünsche ich Ihnen einen Abend, der Sie unterhält. Sie wissen ja: Gute Unterhaltung lässt Saiten in uns anklingen, mit denen wir auf ganz andere Weise nachdenken und erkennen."

Das blieb der rote Faden den ganzen Abend.

Theresia Benda-Pelzer und Pankraz Schaberl – beide Charakterdarsteller von vielen Theaterbühnen – spielten eindrucksvoll Szenen aus Oskar-Maria Grafs Erzählband „Wir sind Gefangene“. In ständig wechselnden Rollen nahmen sie die Zuschauer mitten in die Revolution nach München und auf Grafs Heimatdorf mit.

Günter Baumgartner, Verfasser des Buches „Die Revolution auf dem Land“, gelang es, Geschichte in wahren Begebenheiten und mit Bildern aus der Zeit erlebbar zu machen. Man hatte das Gefühl, er sei dabei gewesen.

Martin Piper schaffte es mit seinen Liedern, die Zuschauer in das Lebensgefühl und die Atmosphäre des Umbruchs eintauchen zu lassen. Das Publikum spendete begeistert Beifall.

Wir bedanken uns für einen wunderbaren Abend voller Geschichten, Eindrücken und Emotionen, für die professionelle Zusammenarbeit mit dem Organisationsteam vom Schützen- und Trachtenhaus, für die tolle Leistung des gesamten Bewirtungsteams und für die zahlreichen Besucher und Besucherinnen.